„Ich bin ein richtiger Angsthase“

Annika Morgan (19), das große Big-Air- und Slopestyle-Talent, über ihre Panik vor neuen Tricks, das Filmen und ihre Rockstar-Sportart

Alles war easy, alles entspannt. Ein Tänzchen vor dem Start, eines nachher. Das Ganze bloß nicht zu ernst nehmen, unbedingt maximalen Spaß haben. Mit dieser Taktik ist Annika Morgan gut gefahren. Schnell galt die Big-Air- und Slopestyle-Athletin als großes Talent. Im Januar 2019 feierte sie ihr Debüt ihm Weltcup, etwa einen Monat vor ihrem 17. Geburtstag. Das Küken unter den Mitte-20-Jährigen. Mit ihren 19 Jahren gehört sie immer noch zu den Jüngsten. Doch so entspannt wie früher ist sie nicht mehr. Nervöser und ernster ist sie geworden. Weil sie abliefern will. Das tut sie. In dieser Saison schrieb sie deutsche Snowboard-Geschichte. Im Big-Air-Contest in Steamboat (USA) landete sie auf Platz drei, der erste Podiumsplatz einer deutschen Athletin in dieser Disziplin. Ganz ohne Tänzchen. Was sich bei Morgan nicht geändert hat: Der Spaß steht im Zentrum. Und sie ist ein Angsthase – sagt sie selbst. Im Interview spricht sie über ihre Angst vor neuen Tricks, warum sie Techno hört und weshalb ihr roter Schulpulli auch dreckig mit nach Peking fliegen würde.

Annika Morgan

Geburtsdatum: 12. Februar 2001
Wohnort: Mittenwald
Verein: SC Miesbach
Disziplinen: Slopestyle und Big Air

Annika Morgan hat es geschafft: Sie fährt zu den Olympischen Spielen nach Peking.

Annika, Du hast Deinen Backside 1080 gestanden – Glückwunsch.
Danke. Ja, voll cool. An dem hab‘ ich eine Weile gebastelt. Und zwischendurch hatte ich schon ein bisschen Angst.

Warum das?
Einmal hat’s mich ziemlich hingelassen, als ich den Trick probiert hab‘.

Gehört das Stürzen nicht dazu?
Klar, eigentlich schon.

Dann musst Du oft Angst haben.
Ja, immer. Ich bin ein richtiger Angsthase beim Snowboarden.

Nicht Dein Ernst?
Ich weiß, das macht keinen Sinn. Deswegen muss ich Techno hören. Zum Runterkommen.

Techno-Musik ist Dein Mittel gegen Angst?
Eines von mehreren. Zudem versuch ich, mir den neuen Trick vor dem Einschlafen aus allen Perspektiven vorzustellen. Damit ich genau weiß, wie es in der Luft sein muss. Wenn ich ihn probieren will, sag‘ ich zu Freunden, dass sie mich ablenken sollen. Weil sobald ich zu viel daran denke, bekomm ich voll Panik und bin kurz davor, zu weinen. Nach dem Trick bin ich voll erleichtert. Dann wein ich, weil ich so erleichtert bin. Ich bin da echt voller Emotionen.

Woher kommt die Angst?
Ich mach mir einfach zu viele Gedanken. Die übelsten Gedanken. Ich überleg‘ mir: Was ist das Schlimmste, was mir passieren kann? Dann stell ich mir zum Beispiel vor, dass ich gegen irgendeine Kante klatsch mit meinem Körper. Das hilft halt nicht weiter.

Früher warst Du doch megaentspannt, hast getanzt. Ist die Alles-easy-Haltung weg?
Schiss hatte ich schon immer. Aber es stimmt, ich tanze weniger. Ich fühl zwar die Musik, beweg mich dazu, aber nicht mehr so verrückt wie früher.

Warum nicht mehr?
Generell bin ich ein bisschen ruhiger und ernster geworden. Und nervöser. Mittlerweile mach ich mir ein wenig Druck, weil ich alles landen will. Das kommt wahrscheinlich einfach mit einem bestimmten Level, wenn man vorankommen will.

Hast Du einen Glücksbringer, der Dich irgendwie beruhigt?
Den Pulli hier (ihr roter Pulli trägt die Aufschrift „Garmisch American School“ – die Schule hat sie besucht, dort hat auch ihr Vater unterrichtet, Anm. d. Red.). Mit dem hab‘ ich mich für die WM qualifiziert (gleich bei ihren ersten Weltcup-Starts 2019, Anm. d. Red.). Dann hab‘ ich ihn einer Freundin geliehen, sie wurde damit Zweite im Weltcup. In Chur erreichte ich damit das Finale. Dort hatte ich ihn nicht an – prompt hab‘ ich nichts gelandet.

Stell Dir vor, der ist bei Olympia in der Wäsche…
Ich würde ihn vorsichtshalber einfach nicht waschen.

Sportler ordnen alles Olympia unter, Du drehst nebenbei noch einen Film mit Deinem Bruder. Lenkt Dich das nicht ab?
Das mach ich schon auch, alles dreht sich um die Spiele, darauf konzentriere ich mich. Aber die Ablenkung tut auch gut. Mir wird es zu einseitig, wenn ich nur Wettkämpfe fahre. Deshalb werd‘ ich mich nach Olympia auch mehr aufs Filmen konzentrieren.

Was heißt zu einseitig?
Ich will alles vom Snowboarden mitbekommen. Der Sport hat so viele Seiten, die man kennen sollte.

Welche?
Der Wettkampfbereich ist das eine. Dann spielt Streetfahren bei mir eine große Rolle, mein Bruder fährt das auch (Ethan Morgan ist ihr Vorbild, hat ihr die ersten und viele weitere Tricks beigebracht. Seine Profi-Karriere hat der 30-Jährige mittlerweile beendet). Zudem Backcountry. Die verschiedenen Kulturen sollen in den drei Teilen des Films gezeigt werden. Wahrscheinlich im März erscheint die erste Folge und dreht sich vor allem um Olympia.

Welches Ziel hast Du Dir dafür gesetzt?
Ich will das Finale schaffen, ob Slopestyle oder Big Air. Dort würde ich gerne meine Run so runterkriegen, dass ich stolz auf meine Fahrweise sein kann. Und ich hoffe, dass ich damit zeigen kann, dass das ein richtig cooler Sport ist. Den man anschauen sollte.

Noch stehen die Snowboarder im Schatten der Skifahrer, oder?
Bei der Berichterstattung auf jeden Fall. Darum würd‘ ich mich freuen, wenn das Boarden mehr im Fernsehen laufen würde. Könnten die Leute öfter zuschauen, würden sie auch verstehen, was das für eine Rockstar-Sportart ist.

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